In deutschen Krankenhäusern steht die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) zunehmend im Fokus – und das aus gutem Grund. Falsch dosierte Medikamente, Verwechslungen bei der Arzneimittelgabe oder gar Diebstähle von Betäubungsmitteln sind Risiken, die schwerwiegende Folgen haben können. Eine innovative Lösung zur Optimierung dieser Prozesse bieten automatisierte Medikamentenschränke, sogenannte Cabinets. Sie revolutionieren die Art und Weise, wie Medikamente gelagert, entnommen und dokumentiert werden – und das mit spürbaren Vorteilen für Patientensicherheit und Pflegepersonal.
Wie funktionieren automatisierte Medikamentenschränke?
Cabinets ermöglichen eine sichere, kontrollierte und nachvollziehbare Lagerung und Entnahme aller Arzneimittelformen – von Tabletten über Flüssigkeiten bis hin zu Betäubungsmitteln. Jedes Medikament befindet sich in einem eigenen Fach mit separatem Deckel, unterschiedliche Dosierungen oder Darreichungsformen werden strikt getrennt gelagert.
Der Entnahmeprozess ist klar geregelt: Zunächst wird der Nutzer eindeutig identifiziert, beispielsweise über einen Fingerabdruckscanner. Anschließend erfolgt die Patientenzuordnung mittels Barcode oder Patientenauswahl am Bildschirm. Nur das Fach des gewählten Medikaments öffnet sich, wodurch die Entnahme anderer Präparate ausgeschlossen wird. Vor und nach der Entnahme bestätigen die Anwender die Stückzahl – eine automatische Bestandsaktualisierung inklusive.
Zusätzlich wird ein individuelles Etikett mit Barcode gedruckt, das die spätere Verabreichung am Patientenbett absichern kann – ein zentrales Element zur Vermeidung von Verwechslungen.
Cabinets verbessern die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS)
Während für Deutschland noch keine groß angelegten Studien zur quantitativen Verbesserung der AMTS durch Cabinets vorliegen, zeigen internationale Daten ein eindeutiges Bild:
- In einer französischen Studie (Chapuis et al., 2010) wurde auf Intensivstationen ein Rückgang der Medikationsfehler von 18,6 % auf 13,5 % festgestellt.
- In Australien und Dänemark konnten Fehlerquoten in Notaufnahmen sogar um bis zu 65 % reduziert werden.
- In einem deutschen Klinikum sanken die Bestandsabweichungen bei Betäubungsmitteln von 1,5 auf nur noch 0,02 pro Tag, nachdem Cabinets eingeführt wurden.
Diese Zahlen sprechen eine klare Sprache: Cabinets tragen maßgeblich zur Reduktion von Medikationsfehlern bei.
Schutz vor Medikamentendiebstahl
Ein besonders sensibles Thema ist der Diebstahl von Betäubungsmitteln. Im Jahr 2023 wurden allein in deutschen Kliniken 470 Fälle polizeilich erfasst – ein Rekordwert. Die Täter stammen meist aus dem klinischen Umfeld: Patienten oder Mitarbeitende.
Cabinets setzen hier neue Maßstäbe. Durch biometrische Zugangsbeschränkungen, Protokollierung aller Entnahmen und eingeschränkte Override-Funktionen wird der Diebstahl nahezu unmöglich gemacht. Auch Medikamente mit Missbrauchspotenzial wie Schlaf- und Beruhigungsmittel werden so besser geschützt.
Ein tragisches Beispiel zeigt, dass Sicherheitslösungen nicht nur für Betäubungsmittel wichtig sind: Eine psychisch auffällige Schwangere versuchte, Medikamente für einen Schwangerschaftsabbruch aus einem ungesicherten Schrank zu entwenden – ein vermeidbarer Vorfall mit potenziell dramatischen Folgen.
Entlastung für Pflegepersonal und Apotheke
Die Einführung von Cabinets reduziert nicht nur das Fehlerpotenzial, sondern auch den Zeitaufwand für Pflegekräfte und ärztliches Personal. In einer deutschen Klinik wurde festgestellt, dass durch automatisierte Medikamentenschränke monatlich:
- 39,9 Stunden Pflegezeit
- 1,6 Stunden ärztliche Zeit
eingespart werden konnten – allein im Umgang mit Betäubungsmitteln.
Zusätzlich empfinden die Mitarbeitenden die Dokumentation, Bestandskontrolle und Medikamentenlogistik als deutlich weniger belastend und aufwändig.
Wirtschaftliche Vorteile und Amortisation
Zwar sind Cabinets mit höheren Anschaffungskosten verbunden, jedoch zeigen mehrere Analysen aus Frankreich, der Schweiz und auch Deutschland, dass sich diese Investitionen nach rund fünf Jahren amortisieren – vor allem durch:
- geringere Vorratshaltung auf Station
- weniger Arzneimittelverschwendung
- reduzierte Arbeitszeiten
- sinkende Fehler- und Schadenskosten
Grenzen und Herausforderungen
Trotz aller Vorteile sind Cabinets keine Wunderlösung. Menschliches Fehlverhalten, etwa bei der Befüllung oder Entnahme, kann nicht komplett ausgeschlossen werden. Ebenso können berechtigte Override-Vorgänge Risiken bergen. Doch genau hier bieten Cabinets einen entscheidenden Vorteil: Fehler werden dokumentiert, analysiert und ermöglichen so ein professionelles Risikomanagement.
Langfristige Analysen zeigen zudem: Fehlerraten sinken nach einer kurzen Eingewöhnungszeit deutlich ab und stabilisieren sich auf niedrigem Niveau (unter 2 %), wobei schwerwiegende Zwischenfälle äußerst selten sind.
Cabinets sind ein zukunftsweisendes Instrument für sichere Arzneimittelversorgung
Automatisierte Medikamentenschränke bieten eine effektive Lösung für zentrale Herausforderungen im Klinikalltag:
Sie erhöhen die Patientensicherheit, reduzieren Medikationsfehler, schützen vor Diebstahl, entlasten Pflege und Apotheke und sind wirtschaftlich sinnvoll.
In einer Zeit, in der digitale Lösungen und Prozessoptimierung immer wichtiger werden, sind Cabinets ein starkes Werkzeug für eine moderne, sichere und effiziente Medikamentenversorgung im Krankenhaus.